Ohne innere Stimme liest man schneller…..

aber will ich das?

Ich bin eine Romanleserin. Ich lese vor allem zu meine  Vergnügen. Deshalb haben mich Schnell-Lesetechniken nie besonders interessiert. Warum sich durch einen Roman hetzen? Da verpasse ich die Stimmungen, die ausgedehnten Beschreibungen spürbar machen. Übersehe Zwischentöne, die in den Dialogen wahrnehmbar sind. Wie soll ich wirklich in die Welt der Protagonisten eintauchen, wenn ich nicht Wort für Wort mit ihnen gehe?

Ich bin eine Romanleserin. Dachte ich. Ja, ich lese viele Romane. Aber ich lese auch jede Menge Dokumente, Mails (manchmal unangehm und unnötig lang), komplizierte Zeitungsartikel und auch Fachbücher. Als mir das auffiel, dachte ich, es ist an der Zeit, sich vielleicht doch mal eine Schnell-Lesetechnik anzueignen. Das war vor einem Jahr. Zeit, um zu rekapitulieren, wie sich mein Leseverhalten verändert hat.

Eigentlich wollte ich einfach nur schneller durch Fachbücher und Internetartikel kommen. Für mein neues berufliches Standbein hatte ich einiges zu lesen und nur begrenzte Zeit am Tag zur Verfügung. Weniger Romane lesen? Auf keinen Fall. Ich hatte nicht vor, auf meine geliebten Romane zugunsten von Fachliteratur zu verzichten.

Mit Neugier, aber auch mit zwei Bedenken im Gepäck saß ich also in einem BrainRead-Kurs. Zum einen bezweifelte ich, dass ich durch schnelles Lesen auch wirklich alles erfassen könnte, was wichtig ist. Zum anderen befürchtete ich (ja tatsächlich), dass ich das genussvolle Lesen verlernen würde.

Mehr behalten durch schnelleres Lesen?

Die Basis für das schnellere Lesen ist das Chunken. Beim Chunken verabschiedet man sich vom gewohnten Lesestil – nämlich Wort für Wort – und erfasst stattdessen ganze Wortgruppen. Das funktioniert, indem man nur jedes vierte bis fünfte Wort fixiert. Da unsere Augen auch die Umgebung wahrnehmen, nehmen sie die Wörte links und rechts ganz nebenbei mit. Unser Gehirn hat so die Möglichkeit im Kurzzeitgedächtnis mehr Elemente zu verarbeiten. Unser Kurzzeitgedächtnis speichert für ca. 20 bis 30 Sekunden. Danach wird alles, gelöscht und neu befüllt.

Was ich dann im Kurs erfahren habe, hat mich restlos überzeugt. Aber auch ziemlich frustriert, weil ich das gerne schon deutlich früher gewusst hätte: nur was im Kurzzeitgedächtnis Sinn ergibt, hat eine Chance im Langzeitgedächtnis zu landen. Jetzt kommt der springende Punkt: je mehr Wörter wir dem Kurzzeitgedächtnis zum Verarbeiten geben, desto mehr Sinn kann es daraus erlesen. Wenn Sie also chunken, bekommt ihr Gehirn nicht nur fünf Wörter, um daraus etwas Aussagekräftiges zu bauen, sondern fünf Wortgruppen. Das macht es dem Gehirn leichter, einen Sinnzusammenhang herzustellen. Also ab ins Langzeitgedächtnis. Und genau da wollen wir das Gelesene haben.

Mehrmals statt nur einmal – Wiederholung verfestigt Wissen

In der Zeit, in der ich mit meiner alten Lesegeschwindigkeit einen komplizierten Text durchgeackert habe, kann ich ihn jetzt mindestens zweimal durchchunken. Schon beim ersten Mal habe ich ja mehr Sinnzusammenhang erlesen, als mit meiner gewohnten Technik. Wenn ich den Text sogar nochmal durchlese, kann ich sicher sein, alles Wesentliche erfasst zu haben. Die Wiederholung bringt’s. Wirklich neu ist das nicht. Wer ein Instrument lernt, einen Sport ausübt, handwerklich arbeitet, weiß: in der Wiederholung verfestigt sich unser Können. Beim Wissen ist das nicht wirklich anders. Vor allem, wenn wir es mit Themen zu tun haben, die uns nicht rasend interessieren, oder komplettes Neuland sind.

Also:

Chunken bringt

mehr Textverständnis + mehr Zeit für Wiederholung

 

On and off: die innere Stimme

Habe ich das genussvolle Lesen verlernt? Knapp zwei Jahre nach dem Kurs kann ich sagen: kein bisschen. Im Gegenteil. Ich lese noch genussvoller. Einerseits, weil ich die Möglichkeit habe, mich zu entscheiden. Andererseits – und dieser Punkt war für mich eine wirkliche Entdeckung – genieße ich meine innere Stimme viel bewußter.

Die innere Stimme ist beim Schnell-Lesen das größte, eigentlich das einzige Hemmnis. Indem wir die Worte leise mitlesen, also subvokalisieren, verlangsamen wir unser Lesetempo. Wir müssen also unser Kopfradio abschalten, um eine höheres Lesetempo zu erreichen.

Nun habe ich aber einen großen Hang zum lebendigen Sprechen. Ich habe eine Zeitlang Radiobeiträge gesprochen und das mit großer Begeisterung. Das Spielen mit der Stimmhöhe, die Frage welche Wörter ich wie betone, um einem Beitrag Farbe und Intensität zu geben, hat mir jedes Mal großen Spaß gemacht. Dementsprechend leide ich, wenn ich hingeleierte Radio- und Fernsehbeiträge höre.

Heute lebe ich dieses Vergnügen beim Vorlesen aus. Wenn ich meinen Kindern Geschichten vorlesen, gebe ich alles. So wie früher, als ich dafür noch bezahlt wurde.

Oder eben, wenn ich ganz für mich in eine wunderbare, traurige, erschreckende, komische Romanwelt eintauche. Ich bin mir meine eigene Erzählerin. Das ist mir erst richtig bewusst geworden, als ich auch fähig war, meine Erzählstimme abzuschalten.

Ach ja – fade Strecken lese ich dann auch lieber schnell. Ich bekomme trotzdem das Wichtigste mit und merke schnell, wann ich wieder mit vollem Stimmpathos einsteigen will.

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Jetzt kaufen: BrainRead. Effizienter lesen – mehr behalten. Lesen wie die Schweden. Linde Verlag, Wien 2013

192 Seiten, EUR 16,80

Prof. (a.o.) Göran Askeljung ist Autor und Inhaber von BrainRead, Geschäftsführer und Senior Trainer bei Askeljung.com und immediate effects, Certified Facilitator und Partner von Consensus in NY, und Leitet Consensus Österreich und Deutschland. Er ist Professor am Institut für Sales & Negotiation am Georgian School of Management, Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von WdF. Er war früher u.a. als Managing Director von Microsoft MSN in Österreich und Geschäftsbereichsleiter von Ericsson Data CEE in Wien tätig. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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