Leseförderung für Kinder zu Hause und in der Schule
Vor ein paar Tagen saß ich im Zug und durfte folgende Szene beobachten: ein ca. 10-jähriger Junge stieg mit seiner Mutter ein, setzte sich hin und bat seine Mama, ihm sein Buch zu geben. Sofort schlug er es auf und begann zu lesen. Eine Station später machten sich beide zum Aussteigen bereit, die Mutter packte das Buch wieder in ihre Tasche. Ich verließ den Zug ebenfalls und sobald der Junge und seine Mutter auf dem Bahnsteig standen, fragte er wieder nach seinem Buch.
Es ist schon komisch, aber ich habe mich richtig gefreut. So sehr, dass ich dem Jungen das auch gleich gesagt habe. Solche Szenen sind selten. In was sind denn Kinder heute vertieft? Genau – in ihre Smartphones. Ganz nach dem Vorbild der allermeisten Erwachsenen. Gerne hätte ich ihn und seine Mutter etwas befragt, um herauszufinden, warum für ihn das Lesen attraktiver ist, als das Smartphone und wie das Leseumfeld in seinem Zuhause aussieht.
Wenn Eltern und Lehrerinnen und Lehrern etwas daran liegt, den Kindern das regelmäßige, freudvolle Lesen nahezubringen, müssen sie sich heutzutage schon was einfallen lassen. Was also können wir tun?
Lob der Langeweile
Ja, die Langeweile. Eltern kennen das Jammern über Langeweile. Schon allein der Tonfall, mit dem Kinder darüber klagen, kann einem den Schweiß auf die Stirn treiben. Viele Eltern rattern dann fast automatisch eine Liste an möglichen Aktivitäten herunter. Bloß keine Langeweile! Dabei ist dieses Gefühl so wichtig. Es ist wichtig, es anzuerkennen, es ist wichtig es auszuhalten und es ist wichtig das Potential zu erkennen. Die Kinder haben dann endlich mal die Gelegenheit, genau zu spüren, worauf sie Lust haben und selbst eine Idee zu entwickeln. Sie merken, dass sie selbst für sich verantwortlich sind, dass sie selbst aktiv werden müssen. Bieten wir ihnen ständig einen Ausweg aus der Langeweile, lernen sie lediglich zu konsumieren. Der Hirnforscher Gerald Hüther beschäftigt sich immer wieder mit dem Thema und wird nicht müde auf die Wichtigkeit hinzuweisen.
Natürlich kann es vorkommen, dass uns die Ideen unserer Sprößlinge nicht besonders willkommen sind. Wasserspiele im Waschbecken mit anschließender Überschwemmung, oder verwüstete Küchen nachdem ein Kuchenteig zusammengerührt wurde, machen zusätzlich Arbeit. Aber die Erfahrung, die die Kinder dabei machen ist unersetzlich.
Was das mit dem Lesen zu tun hat? Es könnte durchaus sein, dass sich Ihr Kind aus der Langeweile heraus öfter mal ein Buch schnappt, um in eine andere Welt abzutauchen..
„Liest Du mir was vor?“
Kinder lieben es, wenn man ihnen vorliest. Erfüllen Sie ihnen diesen Wunsch, sooft es Ihre Zeit zulässt. Kinder die schon selbst lesen können, kann man wunderbar locken, indem man beginnt eine spannende Geschichte vorzulesen. Wenn Sie dann an einer besonders spannenden Stelle aufhören, weil Sie etwas anderes erledigen möchten, wird Ihr Kind nicht warten wollen und selbst weiterlesen.
Auch Fragen, die die Kinder haben, können sie sich dann schon selbst aus Büchern beantworten. Sie müssen lediglich das entsprechende Material zur Verfügung stellen. Nicht immer hat man natürlich alles zu Hause. Notieren Sie sich die Fragen und suchen Sie dann gemeinsam in der Bücherei nach den entsprechenden Büchern, oder machen Sie sich im Internet auf die Suche. Lassen Sie sich erzählen, was Ihr Kind rausgefunden hat.
Lust am Können
Kinder, die lesen können, werden fast schlagartig um ein ganzes Stück unabhängiger von uns Erwachsenen. Zeigen Sie Ihrem Kind, wie stolz Sie sind, dass es Ihre Hilfe nicht mehr benötigt. Vielleicht macht es Ihnen Spaß gemeinsam etwas nach einem Rezept zu kochen. Ihr Kind kann das Rezept vorlesen, die Zutaten bereitstellen und abwiegen.
Nehmen Sie Ihrem Kind keine Lesearbeit ab. „Was steht da auf dem Schild“? „Was ist das da auf dem Foto in der Zeitung?“ Wir sind oft versucht, eine schnelle Antwort zu geben, um die Unterbrechung möglichst kurz zu halten. Ermutigen Sie stattdessen Ihr Kind, das Schild selbst zu entziffern (selbst wenn Sie kurz stehen bleiben müssen), oder geben Sie ihm kurz die Zeitung, damit es die Bildunterschrift lesen kann. „Das kannst Du ja selbst lesen.“ Dass es die gleiche Kompetenz hat wie Sie, wird es motivieren.
Machen Sie Ihrem Kind klar, dass es nur durch Üben das mühelose Lesen lernen kann. „Warum kannst Du das so schnell lesen?“ „Weil ich es geübt habe.“
Vorsicht vor Belohnungen
Zu Beginn der Lesekarriere ist es durchaus erlaubt, mit Belohnungen zu arbeiten. Das kann anspornen und zum Üben motivieren. Versuchen Sie aber, eine „lesenahe“ Belohnung zu finden. Z.B. liest Ihr Kind 10 Minuten, danach lesen Sie weiter. Oder Sie spinnen die Geschichte gemeinsam weiter. Danach liest Ihr Kind, wie es tatsächlich weitergeht. Eine Belohnung, die völlig vom Lesen abgekoppelt ist, wie z.B. eine Süßigkeit, oder eine Folge der Lieblingsserie könnte einen ganz gegenteiligen Effekt haben. Die Gefahr besteht nämlich, dass die Kinder dann irgendwann nicht mehr einsehen, warum sie ohne Belohnung lesen sollen. Das Erlesene selbst sollte die Belohnung sein.
Lesen macht Spaß – auch in der Schule
Eine besondere Rolle können Lehrerinnen und Lehrer einnehmen, damit Kinder Lesen nicht nur mir Arbeit in Verbindung bringen. Eine schuleigene Bibliothek, Ausflüge in die Bücherei, die montägliche Erzählstunde darüber, was die Kinder am Wochenende gelesen haben, sind ganz einfach umzusetzen. Es gibt aber noch ein paar wirklich pfiffige Ideen.
- Wanderbuch: Die Klasse wählt ein Buch aus. Jeden Tag bekommt ein anderes Kind das Buch mit nach Hause und liest ein Kapitel. Am nächsten Tag erzählt es der Klasse davon.
- Den Kleinen vorlesen: Kindergartenkinder kommen zu Besuch in die Klasse und bekommen von den „großen“ Kindern etwas vorgelesen.
- Lesenacht: Zugegeben etwas aufwänder, aber für Kinder zwischen 10 und 13 Jahren ein sehr eindrückliches Erlebnis. Eine Nacht in der Schule und leicht gruselige Lektüre – eine großartige Mischung.
- eigenes Buchprojekt: Ein eigenes Buch machen, mit eigenen Geschichten. Vielleicht klappt es sogar, dass ein Autor/Autorin vorbereitend über ihre Arbeit erzählen können. Es gibt sogar die Möglichkeit, sich professionell begleiten zu lassen.
Ich wünsche mir, mehr Kinder mit Buch in der Hand zu sehen. Von selbst geht das heute nicht mehr. Wir Erwachsene sind gefordert, unseren Teil beizutragen.
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