Komplizierte Texte verstehen – mit diesen 7 Tipps sind Sie auf dem richtigen Weg
Haben Sie nach meinem letzten Artikel ein wenig über Ihr Leseverhalten nachgegrübelt? Haben Sie vielleicht sogar Lust bekommen, sich der verlorenen Kunst des tiefen Lesens zu widmen? Möchten Sie auch komplizierte Texte verstehen? Dann möchte ich Ihnen heute ein paar Ideen an die Hand geben. Keine Angst – ich will Ihnen keine Bedienungsanleitung geben. Schließlich soll auch der Genuss beim Lesen nicht durch zuviel Strategie verloren gehen.
Ohne Anstrengung kein Genuß
Beim Genuss kann man schon ganz gut ansetzen. Denn Lesegenuss muss nicht immer nur im Zeitvertreib bestehen. Der Genuß kann auch im Wissenserwerb, neue Perspektiven oder lebensverändernde Erkenntnisse liegen. Natürlich geht das nicht ohne intellektuelle Anstrengung – je nach Text mehr oder weniger. Die erste Voraussetzung ist also, sich bewußt zu machen, dass die Lektüre vielleicht Schwierigkeiten bereiten wird. Daraus folgt dann auch die zweite Voraussetzung: der Wille, diesen Schwierigkeiten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sie zu durchdringen.
Also, legen Sie sich ruhig Block und Stift bereit, um Notizen zu machen. Das können Fragen an den Text sein, mögliche Ideen zur weiteren Recherche, Verbindungen zu bereits vorhandenem Wissen (Konfirmationen, Widersprüche), neu gewonnene Erkenntnisse, Absätze, die Sie nochmal lesen möchten.
Sieben Wege zum tiefen Verständnis nach Zimmermann und Hutchins
Es gibt einen Haufen Literatur, die sich mit Strategien zum tiefen Lesen auseinandersetzt. Natürlich gibt es viele Parallelen, denn nicht alle erfinden das Rad neu. Zimmermann und Huchins haben aus der Menge an Empfehlungen 7 Wege identifiziert. Zwar wenden Sie sich damit vor allem an Lehrer und Lehrerinnen für den Unterricht. Aber ich finde, diese Strategien können auch von Erwachsenen angewendet werden. Es müssen auch nicht immer alle 7 Wege sein, aber es ist hilfreich zu wissen, welche Möglichkeiten Sie haben, um einen Text durchdringen zu können.
1. Innere Bilder
Die Empfehlung innere Bilder zu kreieren klingt zunächst einmal komisch. Denn man sollte doch meinen, die inneren Bilder tauchen von selbst auf. Beobachten Sie sich einfach mal selbst beim Lesen. Wenn es in Ihrem Kopf rund geht, dann gibt es wohl keinen Handlungsbedarf. Dann wäre es sinnvoll, sich dieser Bilder bewußt zu sein und sie zu notieren. Denn sie sind ein wichtiger Hinweis, auf Ihre Fragen und bereits vorhandenes Wissen. Innere Bilder können übrigens auch sensorische Eindrücke sein.
2. Vorhandenes Wissen integrieren
Egal, wie neu das Thema ist, in dem es um den Text geht – Sie werden schon Vorwissen haben. Vorwissen sind nicht nur Fakten, sondern auch eigene Erfahrungen oder Erfahrungen, von denen andere Ihnen berichtet haben. Wenn Sie nun Ihr Vorwissen mit dem was Sie gerade lesen vergleichen, überlegen Sie wo Ihr Vorwissen bestätigt wird und wo Widersprüche auftauchen. Widersprüche haben wir meist nicht so gerne. Deshalb tendieren wir dazu, sie zu vermeiden (kognitive Dissonsanz). Sie tun also Ihren Synapsen schon dann etwas Gutes, wenn Sie sich diesen Widersprüchen stellen.
3. Fragen stellen
Die Autoren, auf die sich Zimmerman und Hutchins berufen, unterscheiden zwischen dicken und dünnen Fragen (Harvey & Goudvis, 2007; McLaughlin & Allen, 2000; Tierney & Readence, 2000). Dünne Fragen tauchen fast automatisch während des Lesens auf und sind meist mit einer kurzen Antwort befriedigend gelöst. Dicke Fragen dagegen gehen über den Text hinaus und resultieren in weiteren Fragen.
Die Basis dafür liegt in den sogenannten W-Fragen. Wer, Wie, Was, Warum, Wann, Wo. Die Autoren variieren durch verschiedene Zusätze: Wer könnte? Wer sollte? Wer will? Wer dürfte?
4. Rückschlüsse
Rückschlüsse entstehen, wenn wir das Gelesene mit unserem Vorwissen und unseren Erfahrungen verbinden. Im Unterschied zu Punkt 2, wo Vorwissen und Erfahrung lediglich durch den Text wachgerufen werden, werden nun alle drei Bereiche zu neuen Erkenntnissen verknüpft. Wir gewinnen also neues Wissen. Vielleicht sogar Wissen, das im Text selbst gar nicht beschrieben wird. Wir lesen „zwischen den Zeilen“.
5. Hauptgedanke
Dieser Teil ist sehr anspruchsvoll. Denn aus einem langen, komplizierten Text die Essenz zu ziehen, erfordert viel kognitive Arbeit. Man versucht zurück zum Ursprung zu finden. Welche Frage wollte der Autor/die Autorin beantworten und wie kann sie nun beantwortet werden? Da wir uns natürlich nicht wirklich im Kopf der Urherber umsehen können, kann man mit ziemlicher Sicherheit mehrere Hauptideen identifizieren. Welche Sie identifizieren hängt mit Ihrem Vorwissen zusammen und mit welchem anfänglichem Interesse Sie den Text ausgewählt haben. Also: welche Fragen wollten Sie sich mit der Lektüre beantworten.
6. Eigene Aussage
Dieser Punkt gleicht sehr den Punkten 2 und 4. Aber wie bereits zu Beginn gesagt, sind die Punkte ja keine Abfolge sondern Optionen. In diesem Punkt geht es darum, aus Vorwissen und gewonnenem Wissen eine eigene Aussage zu formulieren. Es entstehen völlig neue Aspekte, die über den Text hinausgehen.
7. Probleme mit dem Text lösen
Menschen, die einen Text durchdringen wollen, lassen sich nicht von Schwierigkeiten im Text abschrecken. Davor hatte ich ja eingangs schon gewarnt: kein Genuss ohne Mühe. Es wird nicht überlesen, nur weil es beim ersten Durchlesen nicht gleich verstanden wird. Wenn Sie wirklich um Wissenszuwachs bemüht sind, sollte das eigentlich selbstverständlich sein. Denn: nur was Sie ohnehin schon wissen, verstehen Sie auf Anhieb. Alles was an Wissen dazukommen soll, will erarbeitet werden.
Mit Techniken zum Schnell-Lesen sind Sie gerade bei anspruchsvollen Texten sehr im Vorteil. Nicht nur, dass Sie mehr behalten, sie können den Text auch mit weniger Zeitaufwand mehrmals lesen – was bei komplexen Texten ohnehin erforderlich ist.
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