Der Mühe wert – der Umgang mit wisschenschaftlichen Texten

Es funktioniert ganz instinktiv: wir nähern uns einem wissenschaftlichem Text völlig anders, als einem Text zum bloßen Vergnügen. Meist haben wir mehr Respekt. Wir wissen, da hat jemand – oder ein ganzes Team – gründlich geforscht und dann die Ergebnisse umfassend zu Papier gebracht. Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen wird ja gerne vorgeworfen, dass sie sich in komplizierte Formulierungen versteigen, weil sie sonst von der Kollegenschaft nicht ernst genommen werden könnten. Ich glaube, dass ist nur zum Teil gerechtfertigt. Wissenschaftliche Texte – egal aus welcher Disziplin – versuchen komplizierte Sachverhalte wiederzugeben, für die unsere Alltagssprache unzureichend ist. Auch Fachausdrücke sind nicht zu vermeiden. Wollte man sie vermeiden, müsste man sie durch sehr umständliche Umschreibungen ersetzen. Damit wäre dem Text auch nicht geholfen.

Die Vorstellung, dass man sich die Mühe des Denkens ersparen könne, wenn die Autoren doch nur bitte einfacher schreiben würden, entspringt einer – ich kann es nicht freundlicher formulieren – bequemen Erwartungshaltung. Schließlich hat hier jemand über einen langen Zeitraum geforscht und sich intensivst mit dem Thema befasst. Wieso sollten wir also gänzlich ohne Anstrengung das Thema durchdringen?

Mit der entsprechenden Vorbereitung, etwas Durchhaltevermögen und Freude an der Erkenntnis kann die Erarbeitung tatsächlich sehr befriedigend sein.

Die richtige Auswahl

Der erste Schritt besteht darin, die richtigen Texte auszuwählen. Es gibt zu jedem Gebiet und zu jeder Frage ein für Laien unübersichtliches Angebot. Wenn Sie erst rausgefunden haben, was für Sie relevant ist, sind Sie schon ein gutes Stück weiter. Stellen Sie sich ein Zeitlimit, denn Sie werden niemals alles recherchieren können – oder müssen. Irgendwann müssen Sie aufhören, Bibliotheken und das Internet zu durchforsten.

Beginnen Sie bei den Experten und Expertinnen. Wer viel veröffentlich hat und wer viel von anderen zitiert wird, ist eine gute ersten Quelle. Als nächstes suchen Sie nach den neuesten Veröffentlichungen zu Ihrem Thema. Vielleicht haben Sie mit diesen beiden Eckpfeilern schon ohnehin genug Material. Ansonsten gehen Sie einfach den Literaturhinweisen nach und stöbern Sie. Das kann wirklich Spaß machen. Aber: vergessen Sie nicht Ihr Zeitlimit.

Auch unter dem Material, dass Sie nun ausgewählt haben, können Blindgänger sein. Also Texte, die Ihre Thema gerade mal streifen. Halten Sie sich nicht mit diesen Texten auf. Wenn Sie am Ende noch Zeit haben, können Sie die immer noch lesen.

Wie aber erkennen Sie einen Blindgänger? Durch strukturiertes Scannen und mutiges Entscheiden.

  • Lesen Sie Einleitung und Schluss
  • Überfliegen Sie die ersten Sätze der Absätze
  • Durchsuchen Sie den Text nach Schlüsselbegriffen
  • Trauen Sie sich, von Texten Abstand zu nehmen

Gerade wenn Sie ein großes Volumen zu bewältigen haben, ist es wichtig, leere Lesekilometer zu vermeiden.

Was wollen Sie wissen?

Der Respekt vor wissenschaftlichen Texten verleitet uns dazu, alles für wichtig zu halten und in unsere Arbeit einzubeziehen. Natürlich ist es sinnvoll, offen für neue Aspekte zu sein. Denn das ist ja der eigentliche Sinn: Neues zu lernen. Aber Sie müssen trotzdem Ihren Rahmen vorher gut abstecken.

Dafür sollten Sie sich vorher Zeit nehmen und sich genau darüber im Klaren werden

  • was Sie bereits über das Thema wissen
  • welche Fragen sie beantwortet haben wollen
  • welches Ziel die Lektüre hat (Überblick über die Forschung; erstes Kennenlernen des Themas; Schreiben eines Artikels; Konzipierung eines Vortrags….)
  • wie tief wollen Sie in das Thema eintauchen

Halten Sie diese Punkte während des Lesens ständig präsent. Beurteilen Sie immer, ob das Gelesene für Ihr Vorhaben von Nutzen ist. Der Autor hat alles geschrieben, was er oder sie dazu weiß. Nur Sie können auswählen, was für Sie relevant ist.

Lesen und verarbeiten

Viele Texte verlangen mehrmaliges Lesen. Da ist es natürlich hilfreich, wenn man eine Schnell-Lesetechnik beherrscht. Wie schon mehrfach in meinem Blog erklärt, profitiert man nämlich auch durch das bessere Verständnis – nicht ganz unerheblich bei einem wissenschaftlichen Text.

Während Sie den Artikel oder das Buch „durchchunken“, werden Ihnen die Stellen auffallen, denen Sie sich genauer widmen wollen. Wenn Sie die verschiedenen Lesetechniken zum richtigen Zeitpunkt einsetzen, können Sie sicher sein, das meiste aus den Texten rausgeholt zu haben.

Wie Sie verschiedene Lesestile sinnvoll für Ihr Vorhaben einsetzen können, hat Christian Damm hier zusammengefasst.

 

 

 

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Prof. (a.o.) Göran Askeljung ist Autor und Inhaber von BrainRead, Geschäftsführer und Senior Trainer bei Askeljung.com und immediate effects, Certified Facilitator und Partner von Consensus in NY, und Leitet Consensus Österreich und Deutschland. Er ist Professor am Institut für Sales & Negotiation am Georgian School of Management, Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von WdF. Er war früher u.a. als Managing Director von Microsoft MSN in Österreich und Geschäftsbereichsleiter von Ericsson Data CEE in Wien tätig. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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